Fakultät für Biologie

Was die Venusfliegenfalle erregt

09.09.2022

Die Venusfliegenfalle setzt beim Beutefang auf Glutamat-Rezeptoren. Die entsprechenden Reize überträgt sie elektrisch. Ein Forschungsteam der Uni Würzburg hat jetzt den dahinterstehenden Mechanismus erklärt.

Eine Venusfliegenfalle mit ihrer Beute (mitte): Kommt die Fliege an die sensorischen Haare, wird in der Venusfliegenfalle ein Aktionspotential (AP) ausgelöst (links). Verglichen mit dem tierischen AP der Fliege (rechts) sind deutlich andere Ionenflüsse an den unterschiedlichen APs beteiligt.
Eine Venusfliegenfalle mit ihrer Beute (mitte): Kommt die Fliege an die sensorischen Haare, wird in der Venusfliegenfalle ein Aktionspotential (AP) ausgelöst (links). Verglichen mit dem tierischen AP der Fliege (rechts) sind deutlich andere Ionenflüsse an den unterschiedlichen APs beteiligt. (Bild: Sönke Scherzer/Uni Würzburg)

Um Fliegen und andere kleine Tiere jagen zu können, muss die Venusfliegenfalle schneller sein als ihre Beute. Dafür hat sie ein Fangorgan entwickelt, das im Bruchteil einer Sekunde zuschnappen kann und von einer der schnellsten Reizleitungen im Pflanzenreich gesteuert wird. Eine zentrale Rolle spielt dabei ein elektrisches Signal, das sogenannte Aktionspotenzial. Wenn beispielsweise eine Fliege eines der sechs Sinneshaare der Venusfliegenfalle berührt, wird solch ein Aktionspotenzial generiert. Damit wird das Fangorgan quasi „scharf gemacht“, ausgelöst wird mit dem zweiten Aktionspotenzial.

Dass die Venusfliegenfalle mit Hilfe elektrischer Signale jagt, ist schon seit 150 Jahren bekannt. Die Komponenten, die das Aktionspotenzial verantworten, waren jedoch bislang unerforscht. Ein Team um Professor Rainer Hedrich, Biophysiker an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg, hat sich jetzt mit dem Thema befasst. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Current Biology stellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Arbeiten vor. Im Mittelpunkt stehen Glutamat-Rezeptor-Kanäle und Ionentransportproteine, die das Aktionspotenzial in Schwung bringen.

Wann die Venusfliegenfalle elektrisch erregbar wird

Eine grundlegende Frage für das Team war dabei, zu welchem Zeitpunkt in seiner Entwicklung das Fangorgan der Venusfliegenfalle überhaupt elektrisch erregbar wird. Die Antwort gab Erstautor Sönke Scherzer: „Erst wenn die Falle fertig entwickelt ist und sich das erste Mal öffnet, feuert sie die unverwechselbaren Aktionspotenziale.“

Solch ein Aktionspotenzial dauert in der Regel nur ein bis zwei Sekunden an und breitet sich wellenförmig aus. Das Membranpotenzial – also die elektrische Spannung zwischen Zellinnerem und Zelläußerem – sinkt dabei während der Depolarisation rasch, um während der anschließenden Repolarisation wieder zu steigen, zunächst über den ursprünglichen Ruhewert hinaus, bevor es sich dann langsam wieder dem Ursprungswert nähert.

Für die Kommunikation innerhalb der Zelle sowie zwischen Zellen, Geweben und Organen nutzen Pflanzen zusätzlich noch sogenannte Kalzium-Wellen, die über positiv geladene Ca2+-Ionen vermittelt werden. „Mit Hilfe von Fliegenfallen, die das Gen für ein Kalziumionen-Reporterprotein trugen, konnten wir zeigen, dass Aktionspotenziale und Kalzium-Signale nicht nur aufeinander abgestimmt erscheinen, sondern sich zudem mit der gleichen Geschwindigkeit ausbreiten“, erklärt Rainer Hedrich.

Überraschender Fund im Erbgut

Anschließend identifizierte das Team diejenigen Gene, die diesen Signalweg kodieren. Verantwortlich dafür waren Ines Kreuzer und Anda Iosip. „Um das erste Mal das Fangorgan zu öffnen, braucht die Venusfliegenfalle weniger als einen halben Tag“, sagt Kreuzer. „Wir haben deshalb die Gene angeschaut, die differential exprimiert werden, wenn die Falle ins erregbare Stadium eintritt.“

Unter den stärksten Signalen machte das Würzburger Team einen Glutamat-Rezeptor-Kanal aus – ein überraschender Fund, wie Koautor Manfred Heckmann sagt, Inhaber des Lehrstuhls für Physiologie mit einem Schwerpunkt auf Neurophysiologie an der JMU. „Glutamat funktioniert beim Menschen als Neurotransmitter. Wenn die pflanzlichen Kanäle tatsächlich als Glutamat-Rezeptor-Kanäle arbeiten, muss eine Stimulation mit Glutamat ein Kalziumionen-Signal und ein Aktionspotenzial auslösen“, so Heckmann. Damit sollte er Recht behalten.

Vom Genmuster zum AP-Modell

Die neu gewonnenen Erkenntnisse lassen nach Ansicht des Würzburg Forschungsteams nur einen Schluss zu: Der Einstrom von Kalzium-Ionen leitet über den Glutamat-Rezeptor-Kanal das Aktionspotenzial ein. Bleibt die Frage: Wie nimmt das Aktionspotenzial Fahrt auf?

Bei näherer Untersuchung der Gene stachen dem Team ein Anionenkanal, ein Kaliumkanal und eine Protonenpumpe als potenzielle Beteiligte ins Auge. Mit der Hilfe von Professor Ingo Dreyer, einem Bioinformatiker, der früher an der JMU geforscht hat, inzwischen aber an der Universität Talca in Chile tätig ist, gelang es, den Vorgang im Detail zu beschreiben.

Demnach sind Kalzium-Ionen, die über Glutamat-Rezeptor-Kanäle eintreten, der Zünder. Sie leiten die Öffnung der Anionenkanäle ein, was zur Folge hat, dass das Membranpotential depolarisiert. Die Depolarisation wiederum öffnet Kaliumionen-Kanäle und leitet damit die Repolarisationsphase ein. Mit fortschreitender Repolarisation übernimmt die Protonen-Pumpe die Rückführung des Vorgangs in den Ausgangszustand.

Das komplexe Aktionspotenzial der Venusfliegenfalle

Verglichen mit ihren Opfern, den Fliegen, ist das Aktionspotenzial der Venusfliegenfalle also deutlich komplexer – komplexer sogar als das des Menschen. „Während das Aktionspotenzial von Menschen und Fliegen auf nur einem Natrium- und einem Kalium-Kanal basiert, verfügt die Venusfliegenfalle über zwei weitere Komponenten“, erklärt Rainer Hedrich. So sorgt ein Verwandter des Fliegen-Kalium-Kanals bei der Fliegenfalle zusammen mit der Protonen-Pumpe für die Repolarisation des Aktionspotenzials. Natrium-Kanäle kommen bei diesem Vorgang in Pflanzen nicht vor. Stattdessen wird die Depolarisation des Aktionspotenzials der Fliegenfalle durch den Glutamatrezeptor-Kalziumkanal zusammen mit dem von ihm abhängigen Anionenkanal erreicht.

Ausblick für weitere Forschung

Pflanzen verfügen über etwa 20 Glutamat-Rezeptor-Kanäle, besitzen aber keine Synapsen. Wofür braucht die Pflanze so viele Rezeptoren? Wo kommt das Glutamat bei der Reizung her und wie wird es im Ruhezustand gehalten? Mit diesen Fragen will sich Hedrichs Team in kommenden Studien beschäftigen. „Dies werden wir bald mithilfe genetisch codierter Glutamat-Sensoren in Pflanzen klären können“, so Hedrich.

Und weiter: „In puncto Struktur, Funktion und Regulation von Glutamat-Rezeptor-Kanälen und Glutamat-Transportern haben wir im Augenblick mehr Fragen als Antworten. Möglicherweise weist uns hier die Evolution den Weg. In sehr frühen Landpflanzen findet man Vertreter mit nur einem Glutamatrezeptor-Kanal. Die Frage ist, ob es einen Zusammenhang zwischen der Evolution dieser Kanäle und der Erregbarkeit von Pflanzen gibt. Das wollen wir herausfinden.“

Publikation

Sönke Scherzer, Jennifer Böhm, Shouguang Huang, Anda Iosip, Ines Kreuzer, Dirk Becker, Manfred Heckmann, Khaled Al-Rasheid, Ingo Dreyer, Rainer Hedrich: A unique inventory of ion transporters poises the Venus flytrap to fast-propagating action potentials and calcium waves; in: Current Biology; doi: https://doi.org/10.1016/j.cub.2022.08.051

Kontakt

Prof. Dr. Rainer Hedrich, Lehrstuhl für Botanik I (Molekulare Pflanzenphysiologie und Biophysik), Universität Würzburg, T. +49 931 31-86100, hedrich@botanik.uni-wuerzburg.de

Von Kristian Lozina/Gunnar Bartsch

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